November 17, 2022 | im Landtag, Meine Reden, Meine Themen

Meine Rede im Landtag: Gegen Transphobie von rechts und für fachgerechte medizinische Unterstützung für Trans*personen


– Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Liebe Kolleg*innen, Werte Gäste,

Uns liegt hier erneut ein Antrag der AfD vor, den es so ähnlich schon in anderen Parlamenten gegeben hat. Und wie so oft: Sie greifen ein wichtiges Thema auf, werden ihm aber überhaupt nicht gerecht, sondern nutzen es für Populismus und Stigmatisierung der Betroffenen.
Warum ist das Thema wichtig? Die Pubertät wird von einigen Kindern und Jugendlichen als extrem belastend erlebt, nämlich vor allem dann, wenn sie sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, als ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Jungen, die eigentlich als Mädchen leben möchte, fürchten sich vor Stimmbruch und Bartwuchs. Mädchen, die als Junge leben wollen, vor der Brustentwicklung und der Menstruation. Für diese Kinder und Jugendlichen sind in den letzten 20 Jahren spezialisierte Beratungsmöglichkeiten und auch Behandlungen entwickelt worden. Und das ist für Betroffene eine große Erleichterung.

Die AfD hingegen findet diese Fälle “dramatisch” und spricht von einer „Modediagnose“ ja, gar einem „Transhype“. Es lohnt sich aber, genauer nachzulesen, wie Wissenschaftler*innen die Entwicklungen erklären.

Viele gehen nämlich davon aus, dass es genau anders herum ist: Nicht das Phänomen kommt häufiger vor und daher lesen wir davon in den Medien. Sondern: Das Phänomen war schon immer da, es ist heutzutage aber sichtbarer und darum entsteht der Eindruck, dass es häufiger vorkommt. Anders gesagt: Betroffene Kinder und deren Eltern mussten das früher meist mit sich alleine ausmachen, trauten sich nicht, Probleme anzusprechen oder wussten schlicht nicht, an wen sie sich wenden sollen. Daher geschah ein Outing meist erst im Erwachsenenalter. Die höhere gesellschaftliche Akzeptanz führt nun aber dazu, dass Menschen sich auch schon im Jugendalter trauen, eine mögliche Transidentität zu thematisieren und professionelle Hilfe zu suchen. Das ist etwas, das wir begrüßen, nicht verteufeln sollten.

Die AfD meint nun, Unterstützung für ihre Ablehnung von Pubertätsblockern beim Ethikrat gefunden zu haben, weil dieser mehr Forschung zu dem Thema anmahnt. Nun, es ist richtig, dass es tatsächlich erst wenige Langzeitstudien zu Hormonbehandlungen gibt. Dies trifft allerdings immer erst mal auf neue Behandlungsmöglichkeiten zu. Forschung dazu findet jedoch statt und ich werde daraus auch noch zitieren.

Grundsätzlich ist es ja schon mal gut, dass Sie die Empfehlungen des Ethikrats gefunden haben, Sie hätten nur weiterlesen müssen. Denn der Ethikrat weist auch auf einige Dinge, die nicht so recht zu Ihrem Antrag passen, die Sie aber weglassen. So stellt er fest: Neben den “Risiken, (Neben-)Wirkungen und langfristigen Folgen […], die dem/der Minderjährigen durch aktives medizinisch-therapeutisches Eingreifen entstünden, müssen auch solche berücksichtigt werden, die durch das Unterlassen von Maßnahmen drohen.“

Hier spricht man auch vom Dilemma der Unumkehrbarkeit oder dem „Irreversibilitäts-Dilemma“: Ein Herauszögern der Pubertät ist im Nachhinein nicht änderbar, die Pubertät geschehen zu lassen aber eben auch nicht. Daher ist der Zeitgewinn für diese Kinder und Jugendlichen so wertvoll, weil sie eine wohlüberlegte Entscheidung treffen können, bevor die körperliche Entwicklung zu weit voran geschritten ist.

Der Ethikrat weist ferner daraufhin, dass Trans-Identität bei Kindern entstigmatisiert werden muss und die betroffenen Kinder nicht pathologisiert werden sollten. Stigmatisieren und Lächerlichmachen ist aber leider genau das, was sie tun, wenn Sie eine kleine Anfrage an die Landesregierung richten, wie diese bei Minderjährigen sicherstelle, dass sie sich “ […] nicht leichtfertig in eine Transitionstherapie stürzen, weil sie irgendwo etwas darüber aufgeschnappt haben oder beispielsweise gemobbt wurden?”

Das zeigt, dass sie überhaupt keine Vorstellung haben, was da tatsächlich passiert. Bei Ihnen klingt das, als ob man irgendeine bunte Pille einschmeißt, je nachdem wie die Laune gerade ist. In Wirklichkeit ist es doch aber so: Betroffene Kinder und ihre Eltern nehmen über einen langen Zeitraum Beratungen in spezialisierten Beratungsstellen wahr. Sollte dann nach sorgfältiger Abwägung mit Psycholog*innen und Ärzt*innen die Entscheidung für eine Behandlung mit Pubertätsblockern fallen, macht sich garantiert niemand diese Entscheidung leicht. Ihre Rhetorik ist eine Missachtung all derjeningen, die vor so einer schwierigen Entscheidung stehen.

In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder diskutiert, warum es anscheinend mehr Mädchen gibt, die als Jungen leben wollen als umgekehrt. Auch hier lohnt ein differenzierter Blick: Im Erwachsenenalter zeigt sich nämlich eine relativ gleichmäßige Verteilung: etwa ein Drittel der Trans*personen ist trans*männlich, eine weiteres Drittel trans*weiblich und das letzte Drittel nicht*binär, wie die größte Studie zum Thema, die U.S. Transgender Survey zeigt. Die Unterschiede bei Kindern und Jugendlichen ergeben sich u.a. durch den Zeitpunkt und die Dauer des Outings. Outings von Mädchen, die als Jungen leben wollten fanden bisher gesellschaftlich weniger Beachtung. Jungs hingegen, die als Mädchen leben wollen, stehen offenbar unter stärkerem gesellschaftlichen Druck, Rollenbildern zu entsprechen. Daher outen sie sich häufig erst später und oft nach dem Kindes- und Jugendalter. Es vergeht bei ihnen auch mehr Zeit zwischen der eigenen Erkenntnis – also dem inneren Coming-out – und dem Nach-Außen-gehen damit – also dem äußeren Coming-out. Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts dauert dieser Prozess bei trans*weiblichen Jugendlichen im Durchschnitt 6,8 Jahre, bei trans*männlichen Jugendlichen hingegen “nur” 3,5 bis 4 Jahre.

Nun führen Sie noch ins Feld, dass die meisten Jugendlichen die Geschlechtsänderung später bereuen würden. Nur in 25 bis zwei Prozent der Fälle würde es länger anhalten. Woher diese 2 bis 25% kommen, ist aus ihrem Antrag nicht zu entnehmen. Ein Blick in neueste Forschungsergebnisse der Universität Amsterdam (2022) mit rund 700 Befragten zeigt hingegen, dass 98 Prozent der Behandelten die Hormoneinnahme später fortführten. Als entscheidend für die spätere Zufriedenheit der Betroffenen stellte sich die Beratung und die therapeutische Begleitung heraus. Damit Jugendliche im Zweifel aber auch entscheiden können, die Behandlung abzubrechen, werden erste pubertäre Veränderungen sogar zugelassen und die Reaktionen der Betroffenen abgewartet. Sie sind wichtig für die Diagnose und liefern Klarheit bei der Entscheidung für oder gegen eine Geschlechtsumwandlung.

Die AfD möchte jedoch gar keine Behandlung, sondern fordert stattdessen Pubertätsblocker für unter 18-Jährige komplett zu verbieten. Super Lösung – es gäbe also praktisch gar keine Einsatzmöglichkeit mehr. Denn wir alle wissen, dass die Pubertät vor dem 18. Lebensjahr beginnt. Das ist ungefähr so, als würden sie die Pille so lange verbieten, bis sie sich durch die Wechseljahre eh erledigt hat. Was es wirklich braucht, ist ein sorgsamer, gut abgewogener und wissenschaftlich fundierter Umgang mit Pubertätsblockern. Aber natürlich für die Altersgruppe, in der sie überhaupt nur Sinn ergeben.

Eine Behandlung mit Pubertätsblockern kann Trans*personen ein glückliches und erfülltes Leben ermöglichen. Wir sollten anerkennen, dass eine Nichtbehandlung auch großes persönliches Leid bedeuten kann, bis hin zu psychischen Erkrankungen und Suiziden. Wichtig ist eine gut abgewogene Entscheidung, nach spezialisierter Beratung. Was es aber definitiv nicht braucht, ist ein Antrag wie der Ihre, der Betroffene verächtlich macht und ihren Behandlungsbedarf nicht ernst nimmt. Wir werden Ihren Antrag daher ablehnen.

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