Sahra Damus
Rede zum Schwangerschaftskonfliktgesetz
in der Plenarsitzung am 16.12.2021
– Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Liebe Kolleg*innen,
Werte Gäste,
Am 22. September starb die 30jährige Izabela S. im Krankenhaus von Pszczyna in Polen, weil die Ärzte sich nicht trauten, ihren bereits im Sterben liegenden Fötus abzutreiben. Sie befürchteten strafrechtliche Konsequenzen aus dem restriktiven polnischen Abtreibungsrecht. Sie warteten bis es zu spät war: Die Mutter starb an einer Blutvergiftung, ausgelöst durch den inzwischen bereits toten Fötus. Sie hinterließ Mann und Tochter. Polnische Frauen melden sich in Frankfurt (Oder), in Schwedt, in Berlin. Sie brauchen Unterstützung von unseren Beratungsstellen und Ärzt*innen.
In den USA hat Donald Trump den Supreme Court gezielt mit radikalen Abtreibungsgegner*innen besetzt. So bleibt nun das strenge texanische Abtreibungsgesetz in Gesetz in Kraft, was selbst nach einer Vergewaltigung keine Abtreibung ermöglicht.
Ein striktes Abtreibungsverbot führt nie zu weniger Abtreibungen. Es führt zu Illegalität, zu Verletzungen und Todesfällen.
Diese Probleme haben wir in Deutschland nicht? Ja, in der Tat, diese Probleme haben wir zum Glück nicht. Und dennoch ist die Situation auch in Deutschland und in Brandenburg keineswegs unproblematisch.
Haben Sie schon mal eine Straftat begangen? Diese Frage habe ich vor ein paar Monaten bei der Demonstration zum Safe Abortion Day den Demonstrierenden hier vor dem Landtag gestellt. Denn jede Frau, die eine Abtreibung vornehmen lässt, begeht eine Straftat. Und das betrifft ein Viertel aller Frauen in ihrem Leben. Die Schwangere wird nur nicht strafrechtlich verfolgt, wenn sie eine Pflichtberatung nachweist und die Abtreibung in einer bestimmten Frist stattfindet. §218 kommt im Strafgesetzbuch gleich hinter Mord und Totschlag. Statt um Strafverfolgung müsste es aber gehen um Gesundheitsversorgung, um soziale und finanzielle Fragen und letztlich um die Selbstbestimmtheit der Frau über ihren eigenen Körper und ihr eigenes Leben. Ich bin froh, dass die Ampelkoalition §219a abschaffen wird, das sogenannte Werbeverbot, denn es ist in Wahrheit ein Informationsverbot. Wir brauchen niedrigschwellige Informationen, wo mit welcher Methode, in welcher Sprache Abbrüche vorgenommen werden. Eine Kommission soll sich zudem damit befassen, wie Abtreibung außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden kann. Nach 150 Jahren müssen Schwangerschaftsabbrüche endlich entkriminalisiert werden.
Das Schwangerschaftskonfliktgesetz regelt jene bereits erwähnte Pflichtberatung und die dafür notwendigen Beratungsstellen. Grund für die Neuregelung ist eine Klage der Caritas. Diese bietet die klassische Schwangerschaftskonfliktberatung allerdings gar nicht an, weil die katholische Kirche es ihnen untersagt hat, zu Abtreibungen zu beraten. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte aber dennoch, dass die Caritas staatlich gefördert werden müsse, selbst wenn sie nicht zu allen Aspekten informiere und keinen Beratungsschein ausstelle. Das Urteil haben wir zu akzeptieren.
Im Land Brandenburg gilt es, Sorge dafür zu tragen, dass es genügend Stellen gibt, die zu Abbrüchen beraten und Stellen, die Abbrüche vornehmen. Es werden immer weniger. Die Ärzt*innengeneration, die noch unter dem liberalen Abtreibungsrecht der DDR praktiziert hat, geht in den Ruhestand. Ärzt*innen überlegen sich sehr gut, ob sie Abtreibungen vornehmen und dies kommunizieren. Nicht selten werden sie angefeindet oder gar verklagt. Und das nicht nur in katholisch geprägten Gegenden, wo Frauen inzwischen teils über 100 km fahren müssen und selbst in manchen Großstädten kein Angebot mehr finden. Gerade im ländlichen Raum Brandenburgs ist die Erreichbarkeit wichtig. Daher finde ich es problematisch, dass 8h als zumutbare Anfahrtszeit für die Beratung zu Grunde gelegt werden. Dreieinhalb Stunden hin, dreieinhalb Stunden zurück für eine Stunde Beratung – das bedeutet einen Einzugskreis von ganz Brandenburg, einen Tag Urlaub nehmen. Nicht einfach, wenn man auf den ÖPNV im ländlichen Raum angewiesen ist oder ein kleines Kind hat. Und es tickt die knappe Frist. Auch die Auslastung von Beratungsstellen ist ein schwieriges Kriterium. Klar ist eine Beratungsstelle in Potsdam oder Cottbus stärker frequentiert als eine in der Uckermark oder der Prignitz. Diese Kriterien, die sich aus Bundesregelungen ableiten, müssen so bald wie möglich auf den Prüfstand. Denn das Strafgesetzbuch ermöglicht eine legale Abtreibung nur in einem kurzen Zeitfenster und eine Schwangerschaft wird nicht immer sofort festgestellt.
Ich bin froh, dass das Thema auf Bundesebene nun angepackt wird und wir hoffentlich bald bessere gesetzliche Rahmenbedingungen vorfinden, um auch in Brandenburg die Versorgung der betroffenen Frauen zu erleichtern.