Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg*innen, werte Gäste
Am letzten Mittwoch hat das Bündnis Frist ist Frusthier vor dem Landtag protestiert. Ich finde es richtig, dass die Beschäftigten an den Hochschulen uns laut und deutlich sagen, wie ihre Arbeitsbedingungen sind.
9 von 10 Beschäftigten an Hochschulen sind befristet. In der freien Wirtschaft ist es genau umgekehrt.
Stellen Sie sich das mal vor, auf 9 befristete Kolleg*innen kommt nur eine unbefristete Person. Und damit meine ich jetzt nicht die Professor*innen, sondern die vielen wissenschaftlichen Mitarbeitenden, die einen Großteil der Lehre an Hochschulen übernehmen. Auch ich habe 10 Jahre an einer Hochschule gearbeitet, 9 Jahre davon befristet.
Klar, in der Wissenschaft wird immer ein gewisses Maß an Befristung notwendig sein, um die zwei Qualifikationsphasen zu ermöglichen – die Promotion und die Postdoc-Phase. Aber dieser enorme Anteil von über 90% Befristung lässt dadurch nicht erklären. Es werden immer mehr Daueraufgaben von befristet Beschäftigten übernommen. Grundständige Lehre, Beratung und Betreuung von Studierenden, Koordination von Studiengängen, Tätigkeiten an Großgeräten, in Laboren und vieles mehr.
Wissenschaftliche Mitarbeitende hangeln sich oft von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Manche bis sie 40, manche bis sie 50 sind. Sie verschieben Familiengründungen, riskieren Altersarmut. Wissenschaftlerinnen bleiben häufiger kinderlos als Wissenschaftler, weil sie ihre Arbeit als zu unsicher empfinden. Oft sind sie in prekärer Teilzeit beschäftigt, die sie sich nicht selbst ausgesucht haben, sondern die entsteht, weil reguläre Stellen geteilt oder gar gedrittelt werden und dann nicht mehr zum Leben reichen.
Qualität in der Lehre, gute Betreuung und unabhängige Forschung erfordern auch gute und verlässliche Arbeitsbedingungen. Wie soll jemand, der um die Vertragsverlängerung zittert oder von einer 20h-Stelle nicht leben kann, gut lehren und forschen? Das wird der Wichtigkeit der Aufgabe nicht gerecht. Wir müssen endlich eines begreifen: Gute Arbeitsbedingungen sind doch erst die Voraussetzung für gute Studienbedingungen.
Brandenburg hat da schon einiges getan. 2014 haben wir als eines der ersten Bundesländer Mindestvertragslaufzeiten eingeführt und die Familienfreundlichkeit gestärkt. In den Hochschulverträgen wurde im letzten Jahr der Grundsatz „Gute Arbeit“ verankert. Einige Hochschulen haben Dienstvereinbarungen oder Richtlinien verabschiedet. Und doch zeigt sich, dass in der Praxis noch viel zu tun bleibt.
In einem Fachgespräch in der letzten Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft, Forschung und Kultur haben wir uns mit der Lebensrealität der Betroffenen auseinandergesetzt. So hat die Lehrverpflichtung in den letzten Jahren zugenommen, damit schrumpft die Zeit für Forschung und Betreuung der Studierenden. Studentische Beschäftige sind weiterhin ohne Tarifbindung. Lehrbeauftragte übernehmen Aufgaben, die eigentlich durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigte abgedeckt sein müssten. Die familienpolitische Komponente wird noch nicht an allen ochschulen gleichermaßen angewendet. Und gleichwohl: Das macht ja keine Hochschulleitung und kein Vorgesetzter, weil sie sagen: Das ist toll so!
Sie müssen die Mittel der Hochschulen effizient einsetzen, sie müssen Sorge tragen, dass die Lehre abgedeckt wird und sie tragen die Verantwortung, dass Qualifizierung möglich ist. Sie haben die undankbare Aufgabe, die zu kurze Decke mal hier hin mal da hin zu ziehen.
Wir haben seit Jahren einen Zielkonflikt im Wissenschaftssystem, in dem beide Interessenslagen nicht so recht zusammenkommen. Ich bin der Meinung, Zielkonflikte löst man am besten, indem man sie gemeinsam mit den Beteiligten bearbeitet. Und zwar mit allen Beteiligten, an einem Tisch, auf Augenhöhe. So wächst Verständnis für die Position des anderen.
Wir müssen gemeinsam definieren, was wir unter guter Arbeit verstehen und Wege finden, die für beide Seiten tragbar sind. Genau das haben wir uns mit dem Koalitionsvertrag vorgenommen. Wir wollen einen strukturierten Dialogprozess zum Thema Gute Arbeit und Hochschulen starten.
Der Antrag der LINKEN verfolgt die gleichen Ziele und schlägt einen „Codex für Gute Arbeit“ vor. Solch ein Codex kann Ergebnis eines Dialogprozesses sein. Ich habe mich mit ähnlichen Dialogprozessen in anderen Bundesländern beschäftigt. NRW hatte sich ebenfalls einen Codex vorgenommen. Thüringen hat sich auf Änderungen im Hochschulgesetz fokussiert. Wir sollten noch einmal überlegen, ob ein Codex alleine die beste Lösung ist oder ob nicht bestimmte Dinge besser gesetzlich oder tarifvertraglich geregelt werden können.
Ich bin dafür, dass wir gemeinsam mit den Betroffenen und den Hochschulleitungen erarbeiten, wie wir diese Zielkonflikte lösen und wie wir zu einem Verständnis von guter Arbeit und zu mehr Verbindlichkeit kommen.
Daher wollen wir den Antrag der LINKEN in den Fachausschuss überweisen und dort die Diskussion fortführen, die wir im Fachgespräch begonnen haben.
Es ist an der Zeit, dass wir das Prinzip „Gute Arbeit“ – wie in anderen Berufsfeldern auch – genau ausbuchstabieren und für alle Beteiligten tragbare, praktikable und verbindliche Lösungen finden.
Vielen Dank.
>> Antrag Codex für „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ jetzt initiieren (pdf-Datei)
>> Video zur parlamentarischen Debatte vom 23.02.20 (Quelle: rbb)